89.Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch, 14.Mai 2003
Ich rufe auf:
7 Rückfall
von Sexualstraftätern vermeiden - Mit wirksamer sozialtherapeutischer Behandlung
von Sexualstraftätern endlich beginnen
Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 13/3807
Ich weise hin auf den Entschließungsantrag
der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 13/3905.
Vizepräsident Dr. Helmut Linssen:
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Sichau.
(Vorsitz:
Vizepräsidentin Edith Müller)
Frank Sichau
(SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem Entschließungsantrag "Opferschutz durch Täterbehandlung
stärken ‑ Schutz der Bevölkerung vor Sexual- und Gewalttätern weiter
ausbauen" legen die Koalitionsfraktionen eine Alternative zum Antrag der
konservativen Opposition vor. In Sachen Sozialtherapie brauchen wir uns im
Übrigen von der Opposition wirklich nichts sagen zu lassen.
(Beifall bei der SPD)
Der weit über unsere
Landesgrenzen hinaus bekannte frühere nordrhein-westfälische Justizminister
Josef Neuberger hat bereits in den 70er-Jahren entscheidend zur Gründung der
sozialtherapeutischen Modellanstalten in Gelsenkirchen und Düren, nunmehr
Aachen, beigetragen. Das Ziel dieser Anstalten war die therapeutische Arbeit
mit Gewalttätern und Sexualstraftätern. Das Gesamtergebnis hat unseren
damaligen Justizminister zwar ernüchtert, aber es hat zugleich gezeigt, dass
die Ergebnisse zu einem großen Teil positiv sind und auch damals schon waren.
Dies ist inzwischen wissenschaftlich belegt ‑ Herr Biesenbach, Sie haben
davon gesprochen ‑ und aufgrund der wissenschaftlichen Forschungen
und Erkenntnisse weiterentwickelt worden.
Mit dem heutigen Antrag
kann deshalb die CDU-Opposition im Kreis der ausdrücklichen Befürworter der Sozialtherapie
willkommen geheißen werden. Endlich haben Sie die Alternative "Opferschutz
statt Täterbehandlung" überwunden und sagen mit uns, dass, neben der
wichtigen direkten Hilfe für die Opfer, auch die Täterbehandlung ein
mittelbarer Opferschutz ist.
Vizepräsidentin Edith Müller: Herr Sichau, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Dr. Klose zu?
Frank Sichau
(SPD): Ja, bitte.
Vizepräsidentin Edith Müller: Bitte schön, Herr Dr. Klose.
Dr. Hans-Ulrich Klose (CDU): Herr Kollege Sichau, ist Ihnen bekannt, dass
die in den 70er-Jahren errichtete sozialtherapeutische Anstalt in Düren wegen
totalen Scheiterns später sang- und klanglos geschlossen worden ist?
Frank Sichau
(SPD): Mir ist bekannt, dass die sozialtherapeutische Anstalt Düren in den
90er-Jahren nach Aachen verlegt worden ist, mit einem offenen Teil in
Euskirchen. Darauf werde ich in meiner Rede noch eingehen. Von einem sang- und
klanglosen Schließen kann überhaupt nicht die Rede sein. Es gab allerdings, wie
ich bereits gesagt habe, eine Ernüchterung, was die Ergebnisse von Therapie
betrifft. Der Kollege Neuberger war offensichtlich etwas optimistischer gestimmt,
als es seinerzeit der Wirklichkeit entsprach.
Ich war bei der Frage des
Opferschutzes und fahre jetzt fort. Es bleibt zu hoffen ‑ auch nach
Ihrer Zwischenfrage, Herr Dr. Klose ‑ dass wir in diesem Bereich
keinen populistischen Rückfall der Opposition erleben müssen.
Mit dem Gesetz zur
Bekämpfung von Sexualstraftaten gab es 1998 einen weiteren Impuls für die
Sozialtherapie. Danach ist die Behandlung ‑ das ist, wie übrigens
auch der Täter-Opfer-Ausgleich, den Sie heute zum Teil hier denunzieren, unter
der Regierung Kohl entstanden; das ist richtig, nur muss man immer auch die
Folgewirkungen und die Folgediskussionen betrachten ‑ für die Vollzugsbehörde
verbindlich, wenn sie angezeigt ist.
Ich sage aus meiner Sicht,
dass sie angezeigt ist als sozialtherapeutische Maßnahme, auch als so genannte
motivationelle Vortherapie im Rahmen der Grundtherapie ‑ so
zumindest die Äußerung des baden-württembergischen Therapiewissenschaftlers
Pfäfflin, die er auch vor einigen Jahren
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in Düsseldorf auf einer
Tagung des Justizministeriums gemacht hat. Dies gilt im Übrigen auch ganz
konkret für die Sicherungsverwahrung in den Justizvollzugsanstalten Aachen und
Werl.
Wir in Nordrhein-Westfalen
haben im Rahmen unserer insbesondere durch die Finanzwirtschaft bedingten
Möglichkeiten umgehend die fünfjährige Vorbereitungsphase bis zum
1. Januar dieses Jahres ‑ Sie nannten diesen Termin, Herr Biesenbach ‑
genutzt. Insbesondere sei auf das Psychologen/Psychotherapeuten-Programm
unseres damaligen Justizministers Fritz Behrens hingewiesen, auch wenn es aus
haushaltswirtschaftlichen Gründen ‑ das will niemand
verschweigen ‑ weiterhin auf kw‑Stellen stattfindet. Das
Ministerium hat dies übrigens damals nicht deutlich genug herausgestellt; das
kann man nebenbei auch noch sagen.
Hinzu kommt eine Reihe
weiterer Maßnahmen: die spezielle Weiterbildung für Therapeuten auf diese Zielgruppe
hin, ein begleitender Arbeitskreis und eine begleitende Evaluation durch die Arbeitsgemeinschaft
kriminologischer Dienst, die weitergeht. Schließlich ist für diese Arbeit die
notwendige Supervision eingeführt worden.
Was die Approbation
betrifft ‑ das will ich auch sagen; das haben wir schon im
Petitionsausschuss behandelt ‑: Die Approbation von Psychotherapeuten
und Psychologen, also psychologischen Psychotherapeuten im Vollzug, ist nach
Recht und Gesetz erfolgt.
Das muss man schließlich
auch einmal zur Kenntnis nehmen, Herr Biesenbach.
(Zuruf von Peter
Biesenbach [CDU])
‑ Es ist eine
Tatsache, dass sie anerkannte, also approbierte, Psychotherapeuten sind.
In diesem Zusammenhang ist
auch wichtig: Wenn jemand Psychotherapeut ist, benötigt er/sie natürlich auch
eine spezielle Weiterbildung, die in Nordrhein-Westfalen im Übrigen angeboten
worden ist und die in Mainz bei einer entsprechenden Stelle umgesetzt wurde.
Nunmehr gibt es 207
Haftplätze ‑ Sie haben das infrage gestellt; wir werden dazu gleich
aus dem Ministerium etwas hören ‑ vom Jugend- bis zum
Erwachsenenstrafvollzug und von der klassischen Sozialtherapie bis hin zu
sozialtherapeutischen Abteilungen in speziellen, also einzelnen Vollzugsanstalten
wie beispielsweise in Detmold, Bochum und Willich I.
Die Sozialtherapie in
Aachen verfügt dabei auch über bis zu 20 offene Vollzugsplätze in der JVA
Euskirchen. Herr Klose, ich hatte das gerade in Beantwortung ihrer
Zwischenfrage im Vorfeld kurz dargestellt. Darüber hinaus waren aktuell im März
dieses Jahres gut 200 Inhaftierte in externer therapeutischer Behandlung,
organisiert durch die Träger der Freien Wohlfahrtspflege. Diese Inhaftierten
befinden sich im Wohngruppenvollzug oder im offenen Vollzug.
Wenn Sie das miteinander in
Verbindung bringen, reden wir über gut 400 Plätze, die wir im Vollzug
haben. Das Ganze erfolgt nach dem Modell von Herrn Eck, dass Behandlung
diagnoseorientiert sein soll und von der ambulanten Behandlung bis zur klassischen
Sozialtherapie angeboten werden sollte, um das klarstellend einzufügen.
Schließlich wird derzeit
über das landesfinanzierte Therapieprogramm der freien Träger ‑ wir
haben darüber im Rechtsausschuss diskutiert ‑ auch mit
50 Haftentlassenden therapeutisch gearbeitet. Sie haben eine entsprechende
Auflage und anderweitig keinen Therapieplatz gefunden.
Wenn es angesichts dieser
Tatsachen im CDU-Antrag heißt "Mit wirksamer sozialtherapeutischer Behandlung
von Sexualstraftätern endlich beginnen", so ist dies schlicht falsch oder
etwas zugespitzter ausgedrückt: Es zeigt gegenüber den Tatsachen ein gerüttelt
Maß an theoretischer und praktischer Ignoranz.
(Lachen bei der CDU)
- Da können Sie ruhig
lachen; das sage ich mit allem Ernst so.
Der Antrag der Opposition
erweckt zudem den Eindruck, als ob wir überhaupt keine finanzwirtschaftlichen
Probleme hätten. Dabei haben gerade Sie mit Ihrer konservativ-liberalen
Koalition im Bund unsere Bundesrepublik in den 90er-Jahren zum zweiten Mal seit
ihrem Bestehen in eine tiefe finanzwirtschaftliche Krise gestürzt, deren Folgen
‑ das betone ich ‑ uns bis in die übernächste Legislaturperiode
beschäftigen werden. Ihre Vorgehensweise kann ich daher nur als dreist bezeichnen.
Sie zeigt zugleich, dass Sie dem politischen Bewusstsein sowie dem
Verantwortungsbewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger nur wenig Bedeutung
zumessen.
Mit der Sozialtherapie soll
es nach unserem Antrag selbstverständlich weitergehen, auch wenn manches
Wünschenswerte aus finanziellen Gründen leider nicht machbar ist. So soll der
Verbund, also die Vernetzung, weiterentwickelt werden. Gleiches gilt für
Qualifizierung und Supervision. Außerdem sollen die therapeutischen Möglichkeiten
in der Untersuchungshaft abgeklärt werden,
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insbesondere bei
geständigen Tätern, wobei Gewaltkriminalität eher männlich ist ‑ deswegen
diese Geschlechtsform. Mit diesem Vorgehen soll auch die nach der Inhaftierung
recht hohe Motivation zur Veränderung und damit zur Therapie aufgebaut werden.
Über unseren Antrag hinaus
ist nach unserer Auffassung allerdings auch alsbald die Opferseite wiederum ins
Blickfeld zu nehmen. Die Opferhilfe und Opfertherapie einschließlich der
speziellen Hilfe bei posttraumatischer Belastung befindet sich jedoch nach dem
Opferentschädigungsgesetz in der Zuständigkeit der Versorgungsbehörden
außerhalb der Justiz. Aus diesem wichtigen Bereich hören wir unterschiedliche,
zum Teil widersprüchliche Informationen. Unbestritten gut ist es jedoch, dass
wir dieser Seite direkter Opferhilfe die gleiche Aufmerksamkeit widmen.
Deswegen sollte auch dieses Feld alsbald in den Fokus kommen.
Wir bitten um Überweisung
des Antrages in den Rechtsausschuss, in dem wir die Diskussion fortsetzen
werden. ‑ Vielen Dank.
(Beifall bei SPD und GRÜNEN)
Vizepräsidentin Edith Müller: Vielen Dank, Herr Sichau.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 13/3807 einschließlich des Entschließungsantrags Drucksache 13/3905 an
den Rechtsausschuss. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dort
in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer stimmt der Überweisung zu? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen.
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