Düsseldorf, Mittwoch, 26. Juni 2002
Ich rufe auf:
2 Jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen - Mehr Wissen voneinander schafft mehr
Vertrauen
Antrag
der Fraktion der CDU
Drucksache 13/2681
In Verbindung damit:
In jüdischer und nicht-jüdischer Verantwortungsgemeinschaft für ein weltoffenes
und tolerantes Nordrhein-Westfalen
Antrag
der Fraktion der FDP
Drucksache 13/2737 - Neudruck
Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Für die SPD
spricht jetzt Herr Sichau.
Frank Sichau (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ansatz unserer heutigen
Diskussion sind die beiden bereits genannten Anträge von CDU und FDP. Am Ende des
CDU-Antrages stehen die so genannten konkreteren Faktoren. In diesem Zusammenhang ist
der Synagogenneubau Neuss genannt, das alte Landestheater ist zur Sprache gekommen. Wir
werden darüber im Rahmen des Landehaushaltes 2003 zu debattieren haben. In der neuesten
Ausgabe von "Landtag intern" wird darüber im Übrigen berichtet.
(Vorsitz: Vizepräsident Jan Söffing)
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass vor einigen Jahren die neue
Synagoge in Recklinghausen im Beisein von Johannes Rau eingeweiht worden ist. Was
die historische Präsentation betrifft, so ist seit Jahren die Arbeit der alten Synagoge in Essen
ausgesprochen erfolgreich, auch für Schulen.
Im FDP-Antrag sprechen Sie die Rabbinerausbildung an. Auch die gilt es natürlich vertieft
zu diskutieren. Heidelberg, Herr Rüttgers, war mir als Stichwort neu. Ich kann in diesem
Zusammenhang die langjährige Arbeit des Institutum Judaicum Delitzschianum an der
Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster einbringen, an der der leider früh
verstorbene Kantor der Jüdischen Kultusgemeinde in Münster, Zvi Sofer, Mitarbeiter war.
Die Anerkennung von Berufsabschlüssen ist selbstverständlich ausgesprochen wichtig und
auch für diese Gruppe ganz besonders bedeutsam. Da geht es natürlich auch um
entsprechende Anpassungen bzw. Anpassungsfortbildungen.
Ausgesprochen wichtig ist weiterhin die Arbeit in Sprachkursen. In Israel ist das verbindliche
Grundlage für alle Migranten. Wir haben uns anlässlich einer Informationsreise des
Migrationsausschusses darüber informiert. Das Zuwanderungsgesetz spricht von einer
besonderen Bedeutung der sprachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten.
Was die Dotationen betrifft, so haben wir vor einiger Zeit erst darüber entschieden, und es ist
klar, dass eine Wiedervorlage zu gegebener Zeit und aus gegebenem Anlass meines
Erachtens nicht ausgeschlossen ist.
Die Grundlage des Ganzen ist im Antrag angesprochen worden. Es ist das entsprechende
Kontingent des Bundes in Verbindung mit den Bundesländern, das wir ebenso ausdrücklich
begrüßen. Ziel ist die Stärkung jüdischen Lebens in den jüdischen Gemeinden in unserem
Land. Dies wird von den Beteiligten selbstredend begrüßt, auch wenn es zuweilen ein Stück
Herausforderung ist. Es gibt auch Parallelen zur Zuwanderungsgeschichte im frühen 20.
Jahrhundert.
Der Migrationsausschuss hat sich in der letzten Legislaturperiode durch einen Besuch in den
Synagogengemeinden Berlin und Düsseldorf über diesen Zusammenhang informiert. So weit
die konkreteren Faktoren.
Eingebunden ist das Ganze in unsere gemeinsame Geschichte. Dabei ist das 20. Jahrhundert
leider stark vom Holocaust überschattet. Alle Vorredner haben davon geredet. Es ist
unzweifelhaft eine ausgesprochen schwere Stunde in unserer Geschichte gewesen. Es ist
schon bedrückend, in Yad Vashem den Namen der eigenen Heimatstadt - in meinem Falle
Herne und Wanne-Eickel - zu lesen, in der jüdische Gemeinden grausam vernichtet worden
sind. Insofern belastet es mich und es belastet auch heute, dass dieses leider zur Geschichte
unserer Väter- und Großvätergeneration gehörte.
"Gegen das Vergessen" ist ein Projekt in Deutschland, verbunden mit dem Namen des
bekannten Jochen Vogel, das auf diese Weise das Ziel verfolgt, gegen mögliche neue
Ansätze dieses Schreckens aktiv vorzugehen. Deutsche, besonders diejenigen, die dem
Naziterror widerstanden haben, gehörten zu denen, die die Schrecken zu bewältigen suchten,
die die Hand zur Versöhnung erbaten, die Aufbauhilfen für Israel auf den Weg brachten. Ich
denke dabei an unseren Bundestagsabgeordneten Heinz Westphal, der zugleich
Bundesarbeitsminister und Bundestagsvizepräsident war.
Heute leben wir in einer gemeinsamen - angesichts Ihres Antrages betone ich das Wort
"gemeinsam" - Verantwortungsgemeinschaft. Grundlagen und Werte dazu sind schnell
skizziert. Es sind die 19 Grundrechtsartikel unseres Grundgesetzes von 1949 und die 25
Grundrechtsartikel unserer Landesverfassung von 1950.
Die FDP zielt in ihrem Antrag auf Begriffe in Artikel 7 Absatz 2 unserer Landesverfassung
ab, wenn sie von "Toleranz" - dort heißt es noch "Duldsamkeit" - oder von "Weltoffenheit" -
dort steht der Begriff "Völkergemeinschaft" - spricht.
Insofern sind unseres Erachtens Verfassung und Gesetze ebenso wichtig, nur sie müssen
selbstverständlich auch gelebt werden.
Die Landesverfassung lässt dabei zugleich Freiraum für Individualität. Nun ist es aber auch
gut, wenn es keine destruktiven Zwischentöne gibt. Wir haben das bereits debattiert;
deswegen nur diese Bemerkung.
An Begegnung können wir alle eine Menge lernen. Schulisches kann zu den konkreteren
Faktoren gehören. Herr Dr. Rüttgers hat die Lehrerausbildung ganz konkret angesprochen.
Schulisches gehört ebenso dazu, wie auch Außerschulisches angesprochen worden ist, etwa
der Dialog der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammen-arbeit, und natürlich auch
Kulturelles, Wissenschaftliches und Politisches - sozusagen alle Felder unserer Existenz, die
ich nicht näher skizzieren möchte.
Gleichwohl will ich kurz einige wenige Beispiele aus Politik, Wirtschaft und Psychologie
darlegen. Die Namen Erzberger, Tietz - bekannt durch das Kaufhaus Hertie, Hermann Tietz -
und Rose, ein Bankier, sowie Siegmund Freud stehen auch dafür, sozusagen als Ergänzung
zu Ihrem Antrag.
Was nun die weite Historie betrifft - da kann man tief in die Vergangenheit zurückgreifen -,
lege ich sozusagen in einem kleinen Exkurs dar, dass es auch immer Krisen und Brüche
sowohl in der jüdischen als auch in unserer Geschichte gab. Als Beispiele gestatten Sie mir
die Revolution des Jehu im Nordreich Israel im Jahre 842 vor unserer Zeitrechnung und als
ein Pendant dazu den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland anzuführen. Letztlich wichtig ist
in diesem Zusammenhang die friedliche interne sowie externe Konfliktbewältigung auch vor
dem Hintergrund des Begriffes "Friedensgesinnung", ebenfalls in Artikel 7 Abs. 2 unserer
Landesverfassung.
Was die heutige schwierige politische Situation im Nahen Osten betrifft, so gehe ich davon
aus, dass sie an anderer Stelle zu debattieren ist.
Abschließend bemerke ich: Es ist ein Gewinn, beispielsweise den Pentateuch, die fünf
Bücher Moses also, in der Übersetzung Martin Bubers zu lesen - wirklich ein Sprachgenuss -
oder die Feier des Chanuka-Festes mitzuerleben. Dieses war mir vor einigen Jahren im
Oberlin-Haus in Recklinghausen vergönnt.
Wir stimmen natürlich der Überweisung zu und gehen von weiterführenden Beratungen aus.
- Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Jan Söffing: Vielen Dank, Herr Sichau.
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