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Aus dem Landtag
Reden im Plenum


Rede am 29.9.2000 im Plenum zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion: Gesetz zur Entpolitisierung der Generalstaatsanwaltschaft
(Drucksache 13/196)

Frank Sichau*) (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Orth, einen Satz vorweg: Sie wissen aus den Beratungen im Rechtsausschuss, dass § 40 der Abgabenordnung weitere Erläuterungen, was den anderen Komplex betraf, nicht ermöglicht hat. Ich finde es geradezu rechtswidrig, hier im Plenum des Landtags zu sagen, darüber habe man keinen Bescheid bekommen. Ist das Ihre Bindung an Recht und Gesetz?

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, um es vorweg zu sagen: Wir werden der Überweisung des Gesetzentwurfs an den Rechtsausschuss selbstverständlich zustimmen.
Was jedoch die angestrebte und unter Punkt B des Entwurfs der Fraktion der F.D.P. dargestellte Lösung betrifft, so streben wir, wie es im Ent schließungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Ausdruck gebracht wird, als Alternative eineVergabe dieser Führungsposition auf Zeit an. Dazu wird ein entsprechender Gesetzentwurf vorbereitet, der sich am Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften orientiert, das der Landtag im vergangenen Jahr verabschiedet hat. Vergleichbar mit Führungspositionen in der Wirtschaft geht es dort um die Berufung auf Zeit, nämlich um eine Berufung für zweimal fünf Jahre. Eine solche Berufung ist in der Industrie seit langem durchgängig selbstverständlich. Dies auch, um sich der Qualität in Bezug auf Führung und Leitung relativ sicher zu sein.

Dabei werden die Generalstaatsanwälte jedoch zunächst in das entsprechende Bundesrecht einzubeziehen sein. Hierzu ist also eine Bundesratsinitiative, die NRW auch aufgrund unserer Entschließung ergreifen soll, erforderlich. Dies wird noch etwas Zeit erfordern.

Das Dienstrechtsänderungsgesetz unseres Landes war im Übrigen bei unserer letzten Diskussion zu diesem Thema Anfang 1999 noch nicht in Kraft, so dass unser früherer Kollege Robert Krumbein, den die CDU-Fraktion in ihrer Entschließung mehrfach zitiert, sachgerecht und schlüssig argumentiert hat. Wir sind also sozusagen noch im Verfahren. Man war ja, wie auch aus den Äußerungen von Herrn Krumbein herauszulesen war, dabei, einen entsprechenden Entwurf für eine Änderung vorzubereiten.

Was mögliche Entlastungswirkungen angeht, so haben Sie sich in Ihrem Antrag ausgesprochen vorsichtig ausgedrückt. Die vorletzte Versetzung eines Generalstaatsanwalts in den Ruhestand geschah nämlich vor 33 Jahren, und zwar im Zusammenhang mit dem Klingelpütz-Skandal in Köln. Aus der historischen Distanz ist dieses Vorgehen als mehr als gerechtfertigt bewertet worden.

Zur aktuellen Situation ist logischerweise die historische Distanz nicht gegeben. Es war aber bisher offensichtlich keine inflationäre Entwicklung zu verzeichnen.

(Zurufe von der CDU)

Ich denke schon, dass wir bei der Wahrheit sind. Zur Problemerörterung in Ihrem Gesetzentwurf sind aus unserer Sicht jedoch einige kritische Anmerkungen zu machen. Grundsätzlich ist klar, dass Staatsanwälte keine richterliche Unabhängigkeit besitzen, auch wenn sie logischerweise als Organe der Rechtspflege - wie die Anwälte auch - zusammen mit Richtern arbeiten. Staatsanwälte sind spezielle Beamte des Staates - das heißt, der Exekutive -, Beamte zur Ermittlung von Gesetzesverletzungen, was unter anderem die öffentliche Anklage zur Folge haben kann. Damit ist selbstverständlich die prinzipielle Möglichkeit der Weisung durch die übergeordneten Behörden gegeben sowie selbstverständlich auch die Kontrolle durch das Parlament.

Eigentlich braucht es nicht besonders hervorgehoben zu werden: Die Minister und die Regierung, der er angehört, werden darüber hinaus von der Mehrheit im Parlament getragen, die aus freien, gleichen und geheimen Wahlen durch den Souverän, das Volk, hervorgegangen ist. Diese sind im Übrigen - und das unterstreiche ich ganz besonders - an Recht, Gesetz und Verfassung gebunden.

Im Rechtsausschuss haben wir zudem gehört, dass sich unser Justizministerium sachgerecht alsRechtspflegeministerium versteht, das sich auf Plausibilitätskontrollen, Dienstaufsicht und Assessment - das heißt, Auswahl der Mitarbeitenden - konzentriert und sich in der Regel nicht mit Einzelfragen befasst.

Sachlich falsch ist in Ihrem Problemaufriss - das haben Sie ja auch gerade in Ihrer Rede, Herr Orth, korrigiert -, dass in allen Bundesländern mit Ausnahme Schleswig-Holsteins die Generalstaatsanwälte inzwischen Laufbahnbeamte sind. Außerdem haben wir diesen Status nicht - das haben Sie ja gesagt - in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen. Berlin hat im Übrigen den Status des Generalstaatsanwalts gerade erst verändert.

Darüber hinaus ist auch der Generalbundesanwalt politischer Beamter. Aktivitäten der Konservativen und Liberalen in diesem bundespolitischen Bereich sind mir in diesem Jahrzehnt nicht bekannt geworden.

(Zuruf von der F.D.P.: Das hat gerade erst angefangen!)

- Und wer regiert jetzt? - Problematisch ist in der Darstellung der F.D.P. auch die Stellung des Rechts in einer Gesellschaft. Denn es sieht so aus, als ob Sie von einem so genannten Recht an sich ausgehen, das es belegbar nicht gibt. Vielmehr ist Recht immer eingebunden in gesellschaftliche Einstellungen, Erwartungen und Ängste. Dies ist auch immer zu sehen, um die damit verbundenen Risikopotenziale offen und nachvollziehbar bewältigen zu können. Dies beschreibt nicht nur die Rechtssoziologie, aber ich will mir Differenzierungen an diesem Punkt für den Rechtsausschuss vorbehalten.

Zudem ist der Begriff "Entpolitisierung" auch bei Zustimmung zu Ihrem Anliegen - wenn auch auf andere Weise - ein ausgesprochen problematisches Wort. Denn selbstverständlich sind auch Politiker an Recht, Gesetz und Verfassung gebunden. Allerdings kann Politik nicht alle menschlichen und gesellschaftlichen Probleme regeln. Nur dieser Bereich gehört zum Kernbereich staatlichen Handelns, zu den Staatsgeschäften. Und die deutsche Übersetzung "Staatsgeschäfte" ist die Übersetzung des griechischen Begriffs "Politik" - Staatsgeschäfte.

Wenn Sie wiederum - ich sage das auch noch einmal: bei grundsätzlicher Akzeptanz Ihres Anliegens - von schlechten parteipolitischen Einflüssen sprechen, so müssen Sie sich logischerweise auch selbst angesprochen fühlen. Und Sie müssten konkreter werden. Sie sind es gerade in Ihrem Beitrag geworden, aber auch das müsste man dann im Rechtsausschuss vertiefen.

Insgesamt haben Sie meines Erachtens aber dennoch damit den demokratischen Parteien einen Bärendienst erwiesen. Denn natürlich gilt auch für diese die Bindung an die rechtlichen Normen.Wenn der Ex-Kanzler Kohl oder vor längerer Zeit die Herren Lambsdorff und Zimmermann diese Normen verletzten - und die Reihe konservativ-liberaler Politikerinnen und Politiker ließe sich fortsetzen -, so muss genau dies ganz konkret geklärt werden. Andererseits spricht solch ein menschliches Fehlverhalten grundsätzlich nicht gegen die Parteien im Allgemeinen. Sie haben damit nur ein altes bürgerliches Vorurteil gegen Parteien kultiviert, das letztlich breite Schichten von der politischen Beteiligung ausschließen kann, das heißt, dass nicht mehr jede Staatsbürgerin und jeder Staatsbürger entsprechend mitarbeiten kann.

Verfassungsrechtlich wirken Parteien gerade und insbesondere an politischer Willensbildung mit und stellen sich dafür selbstverständlich auch zur Verfügung.

Abschließend bleibt ausdrücklich zu betonen, dass eine Regierung - und ich sage es noch einmal - selbstverständlich in Bindung an Recht und Gesetz auch wirklich regieren und entscheiden können muss. Das heißt, dass es nicht nur auf Ministerebene Führung auf Zeit geben kann und darf. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der F.D.P.: Sie wollen den Fuß in der Tür behalten! Das ist Ihre Absicht!)

Vizepräsidentin Edith Müller: Vielen Dank, Herr Sichau.

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Frank Sichau, Mitglied im Landtag Nordrhein-Westfalen