Home
Zur Person
Wahlkreis
Aus dem Landtag
Reden im Plenum


Düsseldorf, Donnerstag, 28. Februar 2002

Wir treten in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1   Aktuelle Stunde     

     Thema:  Entlassung von drei geständigen Mordverdächtigen aufgrund zu langsamer

                 Arbeit der Staatsanwaltschaft

     Antrag

     der Fraktion der FDP

     gemäß § 99 Abs. 2

     der Geschäftsordnung

Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 20. Februar 2002 zu der genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Vizepräsident Dr. Helmut Linssen:Für die SPD erteile ich dem Kollegen Sichau das Wort.

Frank Sichau (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Söffing, das war starker Tobak, aber darauf wird in dieser Rede einzugehen sein.

Wir kennen alle den Hintergrund. Das ist eine ausgesprochen schwierige und problematische Situation - das ist mehrmals gesagt worden -, die die Sicherheit der Bevölkerung betrifft, die Ängste ausgelöst hat und die sich natürlich nicht wiederholen darf. Aber nach FDP-Ansicht - das kann man gleich anfügen, wenn man Ihren Antrag auf diese Aktuelle Stunde betrachtet - steht die Schuld schon fest, und zwar liegt die Schuld nach Ihrer Auffassung bei den Regierungsfraktionen sowie bei der Regierung und dem Minister selber.

In der Tat, Herr Söffing, meine Damen und Herren, haben wir im Rechtsausschuss über eine Aufstockung bei den Staatsanwaltschaften beraten, aber es gab einen speziellen Hintergrund. Das wissen Sie, aber Sie haben es hier nicht erwähnt. Es ging um eine mögliche Terrorismusbekämpfung. Ich kann also den Zusammenhang zwischen der damaligen Diskussion zum Haushalt 2002 und dem, was Sie heute zu diesem Fall erklären, nicht erkennen. Es gibt hier keinen terroristischen Hintergrund - um das so deutlich zu sagen.

          (Beifall bei der SPD)

Wir haben auch - und darauf sind Sie auch nicht eingegangen - keine Überlastanzeige bekommen; das ist zumindest meine Kenntnis aus der Behörde. Da nützen natürlich Vermerke wenig, wenn sie nicht entsprechend bekannt sind, um dann zu geeigneten Maßnahmen zu führen.

Sie haben den Leitenden Oberstaatanwalt der Behörde in Münster angesprochen, der selbst den Zusammenhang - Sie haben differenziert; ich gehe darauf ein - zwischen diesem Vorfall und sächlicher sowie personeller Ausstattung der Staatsanwaltschaft Münster ausgeschlossen hat.

          (Beifall bei der SPD)

Sie haben den problematischen Pensenschlüssel angeführt - auch die darauf beruhenden Berechnungen hat er als Ursache für den Vorgang ausgeschlossen -, obwohl Sie wissen, dass es eine einstimmige Äußerung der Justizministerkonferenz gibt, diesen Schlüssel mittelfristig durch das so genannte PEBB§Y-Verfahren zu ersetzen, um differenzierter die Belastungen bei den Behörden messen zu können.

Anhand dieses Pensenschlüssels können Sie im Übrigen allerdings eines feststellen, dass nämlich gerade die Belastung der dortigen Behörde zurückgegangen ist, und zwar von 156 % auf 150 %. Sie kennen diese Quoten, und Sie wissen, Herr Söffing, dass diese Behörde auf der anderen Seite in den letzten Jahren von knapp 50 Staatsanwälten auf knapp 60 Staatsanwälte gewachsen ist - und das im kriminalitätsärmeren Münsterland. Diesen Zusammenhang müssen wir doch auch sehen.

          (Beifall bei der SPD)

Es bleibt der Vorwurf des Oberlandesgerichtes in Hamm, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich - so das OLG - zu langsam gearbeitet habe, dass das Verfahren nicht in dem verfassungsmäßig gebotenen Maße beschleunigt worden sei und dass wichtige Gründe für eine Verfahrensdauer dieser Art nicht vorgelegen hätten.

Wir können dieses erörtern. Das ist überhaupt keine Frage. Ich denke mir, dies ist auch einer wissenschaftlichen Analyse noch zugänglich zu machen.

Aber eines ist diesbezüglich ausgesprochen wesentlich, dass nämlich die Auffassungen und Einschätzungen von Staatsanwaltschaft und 4. Senat des Oberlandesgerichtes in Hamm weit auseinander liegen. Dieser Beschluss hat den Erwartungshorizont der Staatsanwaltschaft übertroffen, denn es stand - was die Schwierigkeit des Verfahrens betrifft - immerhin noch eine Begutachtung nach §§ 20, 21 des Strafgesetzbuches an.

All dies geschah vor dem Hintergrund, dass eine Staatsanwaltschaft natürlich die Entscheidungstendenzen eines Oberlandesgerichtes kennt.

Damit sind wir beim eigentlichen Problem in dieser Sache; das habe ich auch im Rechtsausschuss gesagt: War die Kommunikation zwischen den Beteiligten sachgerecht? - Wir wissen, dass es üblich ist, erneute Stellungnahmen abzufordern, besonders in solch ausgesprochen problematischen Fällen. Dies ist nicht geschehen. Die Staatsanwaltschaft ist nicht noch einmal gehört worden. Die "Westfälische Rundschau" in Dortmund hat meine Aussage im Rechtsausschuss sachgerecht zitiert, als ich fragte: Gibt es keine Telefone, um etwas abzuklären?

          (Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle muss man noch einen zusätzlichen Aspekt berücksichtigen: Dem OLG war bekannt, dass die Hauptverdächtigen unter Bewährungsstrafen standen.

          (Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Und es war des Weiteren bekannt, dass eine Bewährungsstrafe zum Zeitpunkt des Beschlusses bereits rechtskräftig widerrufen war. Allerdings hat dies niemand gewusst, und niemand hat gefragt, wie es diesbezüglich aussehe.

          (Frank Baranowski [SPD]: Akten nicht gelesen!)Die andere Bewährungsstrafe hat sich im Beschwerdeverfahren zwar als zulässig, aber letztlich unbegründet erwiesen. Hier hätte also ohne Schwierigkeiten der § 453 c der Strafprozessordnung greifen können. Das heißt, niemand hätte in dieser besonderen Situation einen Tag in Freiheit sein müssen.

Abrufbar wäre auch die Information gewesen, dass das Landgerichtsverfahren - um das deutlich zu sagen - vor der Großen Strafkammer - die Schwurgerichte sind ja bekanntlich seit der Reform des Gerichtsverfassungsgesetzes abgeschafft - ursprünglich für den 14. Februar, also auf einen Zeitpunkt vor dem dann ergangenen Beschluss, terminiert war, aber mit Rücksicht auf Verteidigung, Nebenkläger und Gutachter auf den 15. April verschoben worden ist.

Für uns ist im Fazit wichtig, dass wir - und ich weise Ihre Unterstellung ausdrücklich zurück, Herr Söffing - die Unabhängigkeit der Justiz achten und ihr eine ausgesprochen große Bedeutung zumessen. Gleichzeitig gilt aber auch, dass Justiz eine gesellschaftliche Verantwortung trägt

          (Beifall bei der SPD)

und es ausgesprochen problematisch ist, wenn sich Justiz in den Elfenbeinturm begibt. Ich sage das vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Satzes über eine freie Meinungsäußerung, die auch an dieser Stelle möglich ist.

Ich sage abschließend: Die FDP-Argumentation und natürlich auch die noch zu erwartende CDU-Argumentation sind eine offensichtliche Fehleinschätzung.

          (Beifall bei der SPD - Dr. Stefan Grüll [FDP]: Reden kann er nicht, aber prophetische Gaben hat er!)

Vizepräsident Dr. Helmut Linssen: Vielen Dank, Herr Kollege Sichau.

Druckversion


Weitere Informationen
Frank Sichau, Mitglied im Landtag Nordrhein-Westfalen