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Wort und Widerwort

Was tun gegen die zunehmende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen?

Von Frank Sichau (SPD)

Neben Präventionsmaßnahmen wie Streitschlichtungsprogrammen für Schülerinnen und Schüler, spezieller Fortbildung von Lehrern über Gewalt an Schulen, Anti-Gewalt- und Deeskalations-Trainings- und Selbstbehauptungskursen ist die schnelle Reaktion des Staates auf deviantes Handeln ein erfolgversprechender Weg, Kinderdelinquenz und Jugendkriminalität wirksam einzugrenzen. Die direkte und schnelle Konfrontation des Jugendlichen mit „seiner Straftat“ ist eine optimale Methode, Einsicht in das begangene Fehlverhalten zu erzeugen. Dadurch können wir verhindern, dass ein erster Fehltritt das Fundament einer kriminellen Karriere wird. Die SPD-Landtagsfraktion setzt sich deshalb für eine effektive Nutzung der Möglichkeiten der Diversion im Jugendstrafverfahren ein. Statt rechtsförmlicher Gerichtsverfahren soll eine schnelle Reaktion des Staates auf Straftaten im Bereich der einfachen und mittleren Kriminalität wie Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung und Schwarzfahren erfolgen. In enger Zusammenarbeit von Polizei, Jugendstaatsanwaltschaft, Jugendgerichtsbarkeit, Jugendgerichtshilfe, Jugendhilfe, Schule und den Eltern sollte delinquenten Kindern und Jugendlichen das Unrecht ihrer Taten drastisch vor Augen geführt werden. Der von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Antrag zur Diversion im Jugend-strafverfahren (Drs. 13/2453) greift diesen Gedanken auf. Wir wollen, dass geeignete Diversionsprojekte (zum Beispiel. Diversionsmodelle wie der Diversionstag in Wuppertal/ Remscheid) landesweit vorgestellt und umgesetzt werden.

Von Theo Kruse (CDU)

Als Innenminister Behrens anlässlich der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik 2001 bekannt gegeben hat, dass fast ein Drittel  aller Tatverdächtigen unter 21 Jahre seien, erfolgte  die zutreffende Feststellung, dass die Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche Straftaten begehen, sind in der Tat all diejenigen gefordert, die viel mit Kindern und Jugendlichen umgehen. Die Eltern, die Schulen, die Kirchen, die Vereine, die Justiz oder die Medien. In ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Funktion sind sie tragende Säulen für eine gewaltfreie und kriminalitätsfreie Erziehung. Wenn jedoch seitens der Politik etwas zur „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“ erklärt wird, so heißt das, dass Verantwortung nicht abgegeben werden darf. Die Politik muss als Teil der Gesellschaft und deren wichtiges Bindeglied die wesentlichen Rahmenbedingungen schaffen. Vor allen Dingen darf die Landesregierung nicht allein  „Absichtserklärungen“ formulieren, sondern muss konkret handeln.

Zwei Beispiele: Wollen wir Diversion, also die Umgehung des förmlichen Strafverfahrens fördern, müssen wir unsere Staatsanwaltschaften stärken. Diversion erfordert von den Staatsanwaltschaften eine umfassende Beschäftigung mit dem einzelnen Jugendlichen. Diese ist zeitaufwändig und mit dem bisherigen Personalbestand nicht zu leisten. Wollen wir zweitens erreichen, dass in unsren Schulen nicht nur Wissen, sondern notwendigerweise auch Werte vermittelt werden, so müssen wir unsere Schulen entsprechend ausstatten. Aufgrund des Unterrichtsausfalls mangelt es bereits an der Wissensvermittlung. Konkrete Schritte im Sinne einer Prioritätensetzung sind überall dort von Nöten, wo Kinder und Jugendliche sind.

Von Horst Engel (FDP)

In NRW nehmen die Rohheitsdelikte zu: Bei den Körperverletzungsdelikten im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 Prozent auf 80.085 Fälle. Das Fatale dabei: Täter und Opfer werden immer jünger.

Diese Entwicklung hatte die FDP-Landtagsfraktion veranlasst, mit einer Kleinen Anfrage in eine gesamtgesellschaftliche Debatte einzusteigen, um Ansätze zum Gegensteuern zu gewinnen. Aus der Antwort der Landesregierung ging hervor, dass der Anteil der Kinder bis 14 an den tatverdächtigen Gewalttätern sechsmal schneller steigt als ihr Anteil an der Bevölkerung. Bei Jugendlichen beträgt der Faktor fünf zu eins. Die Entwicklung bei Verdächtigen mit fremden Pass ist noch dramatischer. Während 1997 schon 275 noch jünger als 14 Jahre waren, stieg deren Zahl im Jahr 2000 auf 593. In den anderen Altersgruppen – auch bei Mädchen - der gleiche Trend.

Für die FDP spielen dabei Fragen nach der Verlagerung und Vermittlung von Werten in unserer Gesellschaft, nach der Erziehungsverantwortung von Eltern, Familien, Lehrern und Ausbildern, nach schulischer und beruflicher Perspektive, nach ethnischen Konflikten, nach Integrationsbelastungen und nach verändertem Rollenverständnis der Geschlechter eine genau so zentrale Rolle wie Fragen nach Wissensvermittlung und Gewaltprävention.

Als Einstieg zum Gegensteuern hat die FDP gefordert, das Diversionsverfahren nach dem Remscheider Modell landesweit zu intensivieren. In Remscheid arbeiten Jugendamt, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht so eng zusammen, dass dort die jugendlichen und heranwachsenden Täter ihre für die Tat notwendige Erziehungsmaßnahme „auf dem Fuße“ erhalten. Der Erfolg: Die dortige Jugendkriminalität ist deutlich zurückgegangen.

Von Sybille Haußmann (GRÜNE)

Im Jahr 2001 gab es relativ, gemessen an der Zahl der Jugendlichen im Alter von acht bis 21 Jahren, genau so viele Tatverdächtige wie im Vorjahr: Gegen etwa 5,5 Prozent dieser jungen Menschen ermittelte die Polizei. Der Anteil junger Menschen an Körperverletzungsdelikten ging um drei Prozent zurück, auch wurden, gemessen an der Bevölkerungsentwicklung, weniger Sachbeschädigungen von ihnen begangen. Nur bei einer Deliktform wurden mehr junge Täter als früher ermittelt: Beim Handtaschenraub nahm ihr Anteil um 3,5 Prozent zu.

Junge Menschen sind also nicht gewalttätiger geworden. Hier haben wir es mit einem Vorurteil zu tun, das rechte Parteien gerne schüren.

Aber es gibt eine sehr kleine Gruppe männlicher Jugendlicher, die immer weniger Hemmungen beim Zuschlagen hat. Diese Gruppe wächst. Ich mache mir Sorgen um sie; denn sie ist Argumenten kaum noch zugänglich.

Für diese Gruppe wünsche ich mir von der Jugendhilfe bessere pädagogische Konzepte der Gemeinwesenarbeit und Prävention. Gangs und Straßenbanden darf eine Stadt nicht ignorieren. Sie darf sie auch nicht der Polizei überlassen. Gefragt sind pädagogische Konzepte, mit deren Hilfe gewalttätige Milieus aufgebrochen werden können.

Es gibt keinen Königsweg, Jugendkriminalität zu bekämpfen. Wichtig ist, dass schon auf die erste Gewalttat eine pädagogische und juristische Reaktion erfolgt – ein "Schuss vor den Bug". Das sogenannte Diversionsverfahren (Rot-Grün bewirkt zurzeit dessen Ausweitung) hilft, schnell und angemessen zu reagieren. Wenn Jugendliche spüren, dass die gesamte Gesellschaft ihnen keine Gewalttaten durchgehen lässt, suchen sie sich gewaltlose, legale Wege, ihre Konflikte auszutragen.

Außerdem können wir Erwachsenen uns ruhig an die eigene Nase packen – schließlich lernen Jugendliche von ihren Vorbildern: denn es gibt auch immer noch zu viele gewalttätige Väter, schikanöse Lehrer und rücksichtslose Autofahrer. Auch Politik ist in Zeiten von Schmiergeldskandalen kein gutes Vorbild, um von Jugendlichen ein Leben ohne Straftaten zu verlangen.

© Landtag Nordrhein-Westfalen

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Frank Sichau, Mitglied im Landtag Nordrhein-Westfalen