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Aus dem Landtag
Reden im Plenum


10. Sitzung

Düsseldorf, Mittwoch, 26. Oktober 2005


7 Abbau des Überhangs von Vollstreckungen im Jugendarrestvollzug
Antrag
der Fraktion der CDU und
der Fraktion der FDP
Drucksache 14/470
Ich weise an dieser Stelle auf den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/534 hin und eröffne die Beratung.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Als nächster Redner hat der Kollege Sichau für die Fraktion der SPD das Wort.


Frank Sichau (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben einen ausgesprochen spätherbstlich dürren Antrag vorgelegt, der sich hauptsächlich auf den nicht unwichtigen Zweig der Zahlen bezieht. Damit und mit den weiteren Aspekten des Jugendarrests wollen wir uns mit dem bereits erwähnten Entschließungsantrag und meinem jetzigen Beitrag befassen.
Zur derzeitigen Situation des Jugendarrests gehört außerdem Folgendes: Es ist eine neue Jugendarrestanstalt für Kurz- und Dauerarrest mit einigen weiteren Plätzen im Bergischen Land, in Remscheid, im Bau. Ich gehe davon aus, dass wir diese Anstalt in überschaubarer Zeit eröffnen werden.

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Wir haben die Einführung sozialen Trainings mit Arrestanten zum Teil deliktbezogen eingeführt. In der Diskussion geht es oft durcheinander, dass Arrestanten keine Jugendstrafgefangenen sind. So - wie mit sozialem Training - wird die bisherige Tagesstruktur in Jugendarrestanstalten neben der bereits vorhandenen Werkstattpraxis und vielen anderen Elementen wirksam ergänzt. Das alles - nach den Finanzdiskussionen am heutigen Tag kann man das sicherlich belegen - war ein Kraftakt. Denn die Finanzressourcen sind bekanntlich ausgesprochen angespannt.
Darüber hinaus ist speziell für den Freizeitarrest - darauf komme ich noch zurück, weil dieser Aspekt in Ihren Ausführungen fehlt - eine zusätzliche Anstalt in Essen-Werden mit sozialem Training eingerichtet worden.
Es gab Überlegungen, in Zukunft von mittwochmorgens bis sonntagnachmittags zwei Freizeitarreste zusammen in dieser Anstalt zu vollstrecken. Ein Ergebnis dazu ist mir noch nicht bekannt. Möglicherweise kann Frau Justizministerin Müller-Piepenkötter etwas dazu ausführen.
Immer wieder wird uns die hohe Zahl der unerledigten Vollzugsersuchen vor Augen geführt. Das ist auch in dem Antrag der Kern. Schon vor Jahren war die Zahl 1.500 zu hoch, obwohl Verjährung nicht eingetreten ist - ich habe dies im Rechtsausschuss ganz deutlich betont -, weil alle Arreste zwölf Monate nach der rechtskräftigen Verurteilung auch vollstreckt waren.
Als vor circa anderthalb Jahren die Zahl bei 1.800 Ersuchen lag, wurde zeitweise aus Teilen der Zweiganstalt Düsseldorf-Gerresheim eine Jugendarrestanstalt. Allerdings konnte diese Zeit nicht verlängert und die Zahl nicht auf unter 1.000 zurückgeführt werden.
Aus Personalgründen konnte nach Schließung des Abschiebevollzugs in der JVA Moers-Mitte kein Jugendarrest durchgeführt werden. Nun sind wir - Sie haben es quantifiziert - bei ca. 2.770 unerledigten Vollzugsersuchen. Dieser Sachverhalt ist zutreffend und wird von niemandem bestritten.
Allerdings gehört es auch zu den Aufgaben dieses Hauses, nach Gründen zu fragen. Werden mehr Jugendliche zu Arrest als so genanntem Zuchtmittel verurteilt? Immerhin gab es in den letzten Jahren auch eine gegenläufige Tendenz.
Werden mehr sogenannte Beugearreste nach § 11 Abs. 3 des Jugendgerichtsgesetzes verhängt, weil Weisungen und Auflagen wie sogenannte Arbeitsleistungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 nicht oder nur teilweise erbracht werden? - Das sind wichtige Fragen.
Im Übrigen ist ein solcher Arrest wichtig, weil ansonsten Weisungen und Auflagen ins Leere laufen könnten. Sanktionen müssen da sein und vollstreckt werden, und immerhin sind ca. 40 % der Arrestvollstreckungen Beugearreste. Der Anteil der Zeit, die im Arrestvollzug verbracht wird, kann prozentual noch höher liegen; ich habe hier nur auf die Anzahl abgehoben.
Wir wissen, dass eine deutliche Zahl von Jugendlichen der Ladung zum Arrest leider nicht folgt. Statt erneuter Ladung sind bei Beugearrest grundsätzlich polizeiliche Zuführungen zu beantragen. Bisher ist ihre Zahl um 250 - und die Ausweisung in der Statistik ging auf unsere Initiative zurück - eher gering.
Über die hier dargelegten Aspekte wünschen wir von der Landesregierung entsprechende Informationen, damit weitere Folgerungen mit dem Ziel alsbaldiger Umsetzung ergriffen werden können; dies beinhaltet auch unser Entschließungsantrag. Dann, aber erst dann, kann konkreter über den verstärkten Abbau der unerledigten Ersuchen wie auch über sein Vorfeld weiter nachgedacht werden.
Bereits jetzt kann eine Maßnahme zur Sprache kommen, die der Leiter der Jugendarrestvollzugsanstalt Bottrop bekanntermaßen unterstützt. Es geht um die Trennung von Freizeitarrest von anderen Arrestformen. So ist der am Wochenende belegte Platz nicht für die Woche zuvor verfügbar. Bei Trennung kann der so genannte Durchsatz deutlich erhöht werden, was jedoch zugleich eine aus unserer Sicht hinnehmbare Arbeitsverdichtung bedeutet.
Möglicherweise sollte man aus den gleichen Gründen auch den viertägigen Kurzarrest vom Dauerarrest trennen und in Essen-Werden vollstrecken.
In einer bekannten Düsseldorfer Zeitung - es ist gerade auch indirekt angesprochen worden - wurde bereits die Eröffnung einer weiteren JAA - Jugendarrestanstalt - ins Spiel gebracht. Übergangsweise kann das erforderlich werden; dazu steht die besagte Analyse ebenfalls noch aus.
Grundsätzlich kann bemerkt werden, dass jeder Arrest ein deutlicher Warnschuss ist. Denn es ist immerhin ein Freiheitsentzug. Bewährungsstrafen im Jugendbereich sind ein schwerwiegenderer Eingriff. Sie sind nach § 21 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz ein sogenannter Warnschuss; das ist im Gesetz ausdrücklich so vermerkt. Sie sind so
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zusagen Freiheitsstrafe auf Abruf bei Versagen, bei Dekompensation.
In diesem Zusammenhang sind verbindliche Gruppentrainings der Bewährungshilfe eine bedeutsame begleitende erzieherische Arbeit, wie der ganze Arrest und auch der Jugendstrafvollzug insbesondere unter dem Gedanken der Nachreifung, also der Erziehung stehen.
Aber auch das Vorfeld des Jugendarrestes - das ist auch in unserem Entschließungsantrag angesprochen worden - ist sehr wichtig. Wir haben das bereits in diesem Hause diskutierte Diversionsverfahren als zielführendes Instrument mit Umsetzungsbeispielen benannt, das Jugendarresten vorbeugen kann.
Im Juni dieses Jahres - Herr Giebels, da widerspreche ich Ihnen mit wissenschaftlichem Beleg - hat der bekannte niedersächsische Kriminologe Prof. Dr. Christian Pfeiffer ein Schreiben unter dem Titel "Die Kriminalität sinkt im Kernbereich, aber kaum jemand redet darüber" veröffentlicht. Wir sollten es gleichwohl im Rechtsausschuss tun.
Zur Jugendkriminalität führt er im Kern aus, dass die Aufklärungsquote um 20 % gestiegen ist, kaum dagegen die bekannt gewordenen Straftaten von Jugendlichen. Präventiv priorisiert er daher den Ausbau von Ganztagsschulen insbesondere bezüglich der von ihm sogenannten Medienverwahrlosung. Dankenswerterweise hat auch der NRW-Richterbund einen Vorschlag zur Prävention unterbreitet, dessen Umsetzung allerdings in die kommunale Hoheit fällt.
Im Zusammenhang mit Jugendarrest und weiteren Sanktionen ist immer wieder von jugendlichen Mehrfach- und Intensivtätern die Rede. Wir wissen inzwischen - auch durch unsere eigene kriminologische Forschungsstelle in Nordrhein-Westfalen, in der Nähe dieses Hauses untergebracht -, dass 75 % der Straftaten Jugendlicher von dieser Gruppe begangen wird, die allerdings lediglich 5 % der Jugendlichen im Alter von 14 bis 18 Jahren ausmacht. Das heißt, 75 % Straftaten werden von 5 % der Jugendlichen begangen. Das muss man sich ganz deutlich machen.
Wie hier möglichst früh interveniert werden kann, zeigt die Darstellung eines Modellprojekts aus Schleswig-Holstein, heute übrigens mit großer Koalition, in unserem Entschließungsantrag, das im Hinblick auf für Nordrhein-Westfalen übertragbare Maßnahmen einschließlich der Jugendhilfemaßnahmen diskutiert werden sollte. Die auch von uns beabsichtigte Beratung im Rechtsausschuss soll dies ebenfalls weiterführen. - Herzlichen Dank.
(Beifall von der SPD)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Kollege Sichau.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. - Frau Kollegin Düker, darf ich das als Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auffassen, in den Beschlusstext aufzunehmen, dass der Antrag auch an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration überwiesen wird? Sind die Fraktionen damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Jedenfalls sehe ich keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt unter Berücksichtigung der gerade vorgenommenen Änderung die Überweisung des Antrags Drucksache 14/470 einschließlich des Entschließungsantrags der Fraktion der SPD Drucksache14/534 an den Rechtsausschuss - federführend - sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss und an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Die Anträge sind damit einstimmig überwiesen.


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Frank Sichau, Mitglied im Landtag Nordrhein-Westfalen