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115. Sitzung
Düsseldorf, Mittwoch 10. März 2004
Präsident Ulrich Schmidt:
Ich rufe auf:
2 Aktuelle Stunde
Thema: Dem liberalen Rechtsstaat darf nicht jedes Mittel recht sein -
Konsequenzen für NRW aus dem Urteil zum Großen Lauschangriff
Antrag
der Fraktion der FDP
gemäß § 99 Abs. 2
der Geschäftsordnung
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 4. März 2004 zu der genannten aktuellen Frage der
Landespolitik eine Aussprache beantragt.
Präsident Ulrich Schmidt: Das Wort hat der Abgeordnete
Sichau für die SPD-Fraktion.
Frank Sichau (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung.
Herr Dr. Orth, Sie als FDP haben dieses tote Pferd mit geritten. Jetzt steigen Sie ab, ohne etwas dazu
zu sagen. Sie zeigen nur auf die anderen in diesem Hause. Das ist meines Erachtens nicht fair.
(Beifall bei SPD und GRÜNEN)
Man muss doch auch zur Selbstkritik in der Lage sein. Immerhin - damit nehme ich bereits ein Stück
meines Konzepts vorweg - ist Ihre Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger darüber gestürzt, und
Herr Schmidt-Jortzig - inzwischen kennt ihn niemand mehr - wurde Justizminister. Er hat das
mitgetragen.
Sie schreiben, dem Rechtsstaat dürfe nicht jedes Mittel recht sein. Das Bundesverfassungsgericht hat
in der Tat gerade so entschieden. Auf das Wort "liberal" komme ich übrigens noch. Allerdings - das
habe ich eben schon ausgeführt - haben Sie als FDP das Mittel des großen Lauschangriffs - besser
verständlich als akustische Wohnraumüberwachung bezeichnet - selbst zum Gesetz gemacht. Sie
stellen hier eine Variante des Dorfrichters Adam aus Heinrich von Kleists Stück "Der zerbrochene Krug"
dar. Sie garnieren das Ganze als liberal. Damals war Ihnen das wohl egal.
(Beifall von Sylvia Löhrmann [GRÜNE] und Johannes Remmel [GRÜNE])
Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf die Gruppe der Pharisäer im späten Alt-Israel eingehen.
Präzise geht es um unveräußerliche und zeitlich unbegrenzte Grund- und Menschenrechte unserer
Verfassung. Die bezeichnen Sie als liberal. Diese Rechte sind aber unveräußerlicher Grundbestand
unserer Verfassung. So muss man das dann auch nennen.
Das Bundesverfassungsgericht hat einen Pin davor geschoben, wie der Bergmann sagen würde. Die
Änderung des Art. 3 Grundgesetz - insbeson-dere der Nr. 3 - ist danach in Ordnung. Die Normen der
Strafprozessordnung - § 100c Abs. 1 Nr. 3 und weitere - sind aber teilweise verfassungswidrig. Im
Rahmen der Verhältnismäßigkeit - das haben Sie gerade selbst gesagt - dürfen nur besonders schwere
Straftaten, die mehr als fünf Jahre Strafhaft nach sich ziehen, per akustischer Wohnraumüberwachung
aufgeklärt werden - und das nur als Ultima Ratio. Zu anderen Zwecken darf nicht abgehört und auch
nicht verwertet werden; die Dokumente sind zu vernichten.
Dieses ist notwendig eben wegen der Unantastbarkeit der Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1
unseres Grundgesetzes. Im Minderheitenvotum ging dieses selbst zwei Richterinnen zu weit.
Konsequenzen für NRW aus dem Urteil zum großen Lauschangriff ziehen - sagt die FDP. Wir ziehen
Konsequenzen. Auch wir haben im Bund dieses Gesetz seinerzeit mehrheitlich unterstützt, auch wenn
sich NRW im Bundesrat dabei enthalten hat. Das haben Sie auch nicht gesagt. Das ist hier aber schon
auch darzustellen.
Dabei war bundespolitisch unsere Zielrichtung insbesondere die organisierte Kriminalität - und auch das,
wie schon gesagt, als Ultima Ratio, die ja mit einer hohen Straferwartung verbunden ist.
In der Praxis in NRW wird nach meinen Informationen seit 1998 wohl im engeren Sinne, d. h.
verfassungsgemäß gehandelt worden sein. Herr Minister Gerhards möge dazu Näheres sagen.
Die Folgen für NRW können nun nicht sein, die Gesetzesänderung abzuwarten. Die Folge kann lediglich
sein, die Strafprozessordnung nach der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts auch
Seite 11336
bis zur Änderung anzuwenden, sofern - und das darf man nicht vergessen - die erforderliche
Genehmigung durch ein qualifiziertes Richterkollegium erfolgt ist.
Mein Kollege Jürgen Jentsch wird zu den weiteren Fragen in diesem Zusammenhang sprechen.
Gespannt bin ich auf die Äußerungen von Herrn Kollegen Engel, sofern er redet, und zwar insbesondere
in Bezug auf den von Ihnen dargelegten so genannten liberalen Rechtstaat, präziser: unseren
Grundrechts- und Menschenrechtsstaat. Gespannt bin ich außerdem auf die Äußerungen von Herrn
Kollegen Kruse, sofern er redet. Dessen Äußerungen erinnerten mich in der Vergangenheit ja oft an
"Lützows wilde verwegene Jagd". Ich bin gespannt auf seine Äußerungen in Bezug auf diese
verfassungsrechtliche Feinarbeit unseres höchsten Gerichtes. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei SPD und GRÜNEN)
Präsident Ulrich Schmidt: Vielen Dank, Herr Sichau.
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